Von der Kraft den eigenen Traum zu leben

Goldene Zeiten

Marc Brunßen könnte sich einfach nur auf seine Karriere konzentrieren. Der Unternehmensberater bringt alles mit, was man sich in den Chefetagen vom Nachwuchs wünscht. Doch mit seinen 26 Jahren bewegt ihn mehr als die Aussicht, eines Tages einen gut dotierten Job auszuüben. Trotz erheblicher Arbeitsbelastung setzt er sich in jeder freien Minute für ein Bildungsprojekt ein, mit dem er Kindern aus Entwicklungsländern einen Schulabschluss ermöglichen will. Mich interessiert was ihn antreibt, woher seine Leidenschaft kommt und was ihm den Glauben an eine bessere Welt gibt.

Lange stelle ich mir schon die Frage, was Menschen motiviert sich für andere einzusetzen, obwohl sie auch einfach nur an ihrem ganz persönlichen Erfolg arbeiten könnten. Der Weg führt mich zu Marc Brunßen, der auf den ersten Blick so gar nicht in das Bild des Weltverbesserers passen will. Denn sein Lebenslauf liest sich eher karriereorientiert. Nach einem exzellenten Abitur erhält er ein Stipendium der Studienstiftung für die ersten Semester an einer Business-School in Vallendar und den Bachelor-Abschluss an einer Londoner Elite-Schmiede. Neben dem Studium absolviert er Praktika bei Investmentbanken und Unternehmensberatungen. Er gründet selbst zwei kleine Unternehmen. Eines davon treibt er eine Zeit lang in Vollzeit voran. Später zieht es ihn zu einem der renommierten amerikanischen Beratungshäuser.

Doch ihn als ehrgeizigen Karrieristen abzustempeln wäre zu einfach. Sein erstes eigenes Unternehmen ist eine Bildungsberatung, mit der er das Ziel verfolgt, Schülern alternative Schul- und Universitätswege aufzuzeigen. Hiernach baut er eine E-Learning Plattform auf, die Schülern hilft, sich auf das internationale Abitur (IB-Diploma) vorzubereiten. Eines Tages bittet ihn ein Freund aus Namibia, einige Lizenzen der Software für eine öffentliche Schule im Land zu spenden. „Es stellte sich die Frage, ob wir weiterhin Top-Schüler dabei unterstützen wollten, bessere Noten zu bekommen oder den Schwächeren die Möglichkeit geben, überhaupt erst einen Abschluss zu erreichen.“ Wir, das ist eine Gruppe von ehrenamtlich arbeitenden Erstellern von Lern-Videos und Ariane, die in der Zwischenzeit mit ins Unternehmen eingestiegen ist.

Die Idee von Global Diploma ist geboren. Zu dritt fahren sie nach Namibia, besuchen Schulen und versuchen zu verstehen, wie man den Schülern der öffentlichen Einrichtungen helfen kann, die staatlichen Abschluss-Prüfungen zu bestehen. Denn das größte Problem ist die Durchfallrate, die bei öffentlichen Schulen landesweit durchschnittlich bei etwa 90% liegt. In einem Pilotprojekt begleiten sie eine Schule, die mit Hilfe des E-Learnings von Global Diploma die Durchfallquote auf 40% senken konnte. Inzwischen gibt es drei Schulen, die mitmachen, zehn weitere haben Interesse. Eine Koordinatorin, die Marc teilweise von seinem Gehalt finanziert, wird die weitere Entwicklung vor Ort betreuen. Momentan steht Global Diploma vor der Herausforderung die Finanzierung so aufzusetzen, dass die Organisation langfristig bestehen und vor allem schnell wachsen kann. Neben der Aufbauarbeit vor Ort tüftelt Marc deshalb an möglichen Geschäftsmodellen, um einen Teil der Kosten wieder rein zu holen.

Alles das treibt Marc in seiner Freizeit mit Engagement und Leidenschaft voran. Gleichzeitig braucht es aber auch eine gehörige Portion Durchhaltevermögen, um sich nach 14 Stunden Arbeit nachts im Hotel noch an den Rechner zu setzen und sich nicht von Niederlagen und Rückschlägen demotivieren zu lassen. Woher nimmt Marc also die Kraft dazu? Unser Gespräch kommt schnell auf seinen Wunsch, das Leben selbstbestimmt zu gestalten und Herr über die eigene Agenda zu sein. In der normalen Arbeitswelt ist das oft schwierig, bei Global Diploma hingegen kann er an der eigenen Idee arbeiten und einen Traum verwirklichen, der sein eigener ist. Das klingt einleuchtend. Doch wieso lassen nur Wenige dem Wunsch nach Selbstbestimmung konkrete Taten folgen? Warum hat Marc den Willen und die Kraft dafür, während andere inaktiv bleiben?

Natürlich kann er nur über seine eigenen Beweggründe berichten und fängt an über seine Jugend zu sprechen. Marc wächst bei seinen Eltern in Bremerhaven in bescheidenen Verhältnissen auf. Doch er möchte sich ausprobieren, die Welt entdecken und sein Leben unabhängig von der Familiengeschichte selbst in die Hand nehmen. Er setzt alles daran ein Vollstipendium für ein renommiertes Internat zu bekommen –  mit Erfolg. Die folgenden Jahre am Bodensee beschreibt er als prägend, denn hier wird er systematisch gefördert und ihm wird gezeigt, welche Türen ihm im Leben offen stehen. Er trifft auf Lehrer und Mitschüler, die sich ihrer Gestaltungskraft bewusst sind und etwas bewegen wollen.

Und hier findet sich wohl auch die Ursache für seine Gestaltungskraft: Marc weiß, wie es sich anfühlt, mit schwierigen Startbedingungen groß zu werden und was sich ändert, wenn man plötzlich das Gefühl hat, das eigene Leben in die Hand nehmen zu können. Diese Erfahrung möchte er weitergeben, damit so viele Kinder und Jugendliche wie möglich ihre Fähigkeiten entdecken und ihre Potentiale entfalten können. Ich beginne zu verstehen: Dieses Schlüssel-Erlebnis bringt Marc dazu, Selbstbestimmung als höchstes Gut zu begreifen und unermüdlich an einem Traum zu arbeiten, der größer ist als er selbst.

 

Bildquelle: © Florian Kiel

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